Trotz knapper Haushaltslage»Zusätzliche Mittel loseisen« – Pistorius verlangt frisches Geld für Ukraine-Waffenhilfe
Vor dem Nato-Gipfel ringt die Bundesregierung um mehr Geld für weitere Waffenhilfen. Nach SPIEGEL-Informationen sieht der Verteidigungsminister allein für 2024 einen zusätzlichen Bedarf von vier Milliarden Euro.
VonMatthias Gebauer
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Nach der mühsam erzielten Einigung für einen Haushalt droht der Bundesregierung ein Gezerre um frisches Geld für weitere deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine in den kommenden Monaten. Nach SPIEGEL-Informationen sind die rund sieben Milliarden Euro, die im laufenden Bundeshaushalt für die Unterstützung Kiews vorgesehen sind, weitgehend aufgebraucht oder vertraglich gebunden. Für das zweite Halbjahr 2024 sind nur noch knapp 200.000 Euro für neue Lieferungen übrig. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat deswegen bei Finanzminister Christian Lindner (FDP) zusätzliche Mittel angemahnt.
Pistorius hat Lindner bereits informell mitgeteilt, der Topf für die Ukraine-Waffenhilfe müsse für das zweite Halbjahr 2024 um weitere vier Milliarden Euro aufgestockt werden. Die Lieferungen werden nicht aus dem Verteidigungsetat, sondern zum Großteil aus dem Einzelplan 60 finanziert. Geplant aber wird die Unterstützung im sogenannten Ukraine-Stab unter der Führung von Generalmajor Christian Freuding. Seine Experten sehen es als dringlich an, die Waffenhilfe für die Ukraine bis Ende 2024 konstant zu halten.
Nach SPIEGEL-Informationen will Pistorius mit dem frischen Geld im laufenden Jahr weitere Munition, dringend benötigte Ersatzteile und möglicherweise auch weitere Leopard-1A5-Panzer an die Ukraine liefern. Finanzminister Lindner indes hat die Bundesregierung zur Sparsamkeit aufgefordert. Überplanmäßige Ausgaben wie zusätzliche vier Milliarden für die Ukraine dürften ihm da ungelegen kommen. Im Wehrressort indes hält man die Lieferung von Munition und von Ersatzteilen für essenziell, damit sich die Ukraine weiter gegen Russland verteidigen kann.
Das Geld ist »weitgehend verausgabt«
Bei einem Truppenbesuch in Alaska wollte Pistorius sich nicht im Detail über die internen Gespräche mit Lindner einlassen. Die Ukraine-Mittel für 2024 seien »weitgehend verausgabt und gebunden«, sagte er auf eine entsprechende Nachfrage. Die Gespräche mit Lindner über frisches Geld bestätigte er nur indirekt. »Wir arbeiten gerade daran, zusätzliche Mittel loszueisen, um auch in diesem Jahr noch weiter tätig sein zu können«, so der Minister.
Das Ringen ums Geld für weitere Waffenpakete kommt für die Bundesregierung zur Unzeit. Auf dem Nato-Gipfel diese Woche in Washington will sich Berlin als standfester Unterstützer der Ukraine präsentieren. Nicht nur Pistorius wiederholte deswegen in den vergangenen Wochen immer wieder, dass Deutschland mittlerweile hinter den USA der zweitgrößte Geldgeber bei den Waffenlieferungen ist. Die bisher angestoßenen Lieferungen aus Deutschland aber würden ohne frisches Geld wohl spätestens im Spätherbst abebben.
Erst vor einigen Tagen hatte die Bundesregierung mitgeteilt, dass ein drittes Patriot-Flugabwehrsystem aus Bundeswehrbeständen in der Ukraine angekommen ist. Vor einigen Wochen hatte der Minister zudem angekündigt, dass Berlin der Ukraine weitere Artilleriemunition sowie 100 Lenkflugkörper für die Patriot-Abwehrsysteme liefern wird. Die Ankündigungen illustrieren, warum der Topf von sieben Milliarden Euro für 2024 bereits aufgebracht oder zumindest verplant ist: Allein die Zusage für die Patriot-Munition dürfte mit gut einer halben Milliarde zu Buche schlagen.
Derzeit wird im Wehrressort intensiv gesucht, ob man noch weitere Mittel für eine Verstetigung der deutschen Waffenhilfe nutzen kann. Eine Möglichkeit ist ein Topf, in den verschiedene Partner im Zug der von Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock gestarteten Flugabwehr-Initiative für die Ukraine eingezahlt haben. Der Fonds ist mittlerweile auf gut eine Milliarde Euro angewachsen. Denkbar ist auch die Nutzung von Zinsgewinnen, die durch in der EU eingefrorenen russischen Vermögenswerte entstanden sind. Eine erste Tranche, ein niedriger dreistelliger Millionenbetrag, soll bald an Berlin ausgezahlt werden.
Verschnupft über die Beschlüsse der eigenen Regierung
Erst vergangene Woche musste Pistorius schmerzhaft erfahren, wie eng die Kassenlage derzeit ist. Bei der Grundsatz-Einigung auf einen Haushalt wurde seinem Haus trotz der angespannten Sicherheitslage nur ein Plus von 1,25 Milliarden Euro für 2025 zugestanden. Pistorius hatte indes 6,7 Milliarden Euro mehr für 2025 und ein konstantes Aufwachsen seines Budgets in den Folgejahren eingefordert. Im Finanzplan sind aber für 2026 und 2027 nur geringe Zuwächse von jeweils etwas mehr als einer Milliarde Euro vorgesehen.
Bei seinem Truppenbesuch in Alaska zeigte sich der Minister verschnupft über die Beschlüsse der eigenen Regierung. Wörtlich sagte er kurz nach der Ankunft in Fairbanks, es sei »ärgerlich« für ihn, dass die Bundeswehr nicht mehr Geld für die dringend notwendige Modernisierung erhalte. In der Folge könne er bestimmte Rüstungsprojekte nicht so schnell starten, wie es die Bedrohungslage erfordere.
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Die Sorge um eine Konstanz der deutschen Waffenhilfe für die Ukraine betrifft nicht nur das laufende Jahr. Für 2025 muss Deutschland aus Sicht der Experten im Wehrressort eigentlich zehn Milliarden oder sogar mehr für weitere Unterstützung aufbringen. Bisher sollen allerdings nur etwas mehr als vier Milliarden im Haushaltsentwurf fürs kommende Jahr vorgesehen sein. Die genauen Zahlen will Finanzminister folgende Woche vorlegen und dann vom Kabinett absegnen lassen.
Der SPD-Haushälter Andreas Schwarz fordert, schnell zu handeln. »Die deutsche Unterstützung der Ukraine gehört zur Zeitenwende, die vorgesehenen sieben Milliarden für die Militärhilfe für 2024 sind aber weitgehend aufgebraucht«, sagte Schwarz. Deswegen habe das Wehrressort für 2024 eine Aufstockung vorbereitet. »Hier bedarf es einer zügigen Entscheidung durch das Finanzministerium«, mahnte er. Zudem seien fürs kommende Jahr mindestens die Mittel von 2024 vorzumerken. »Dies bedeutet, einen hohen einstelligen Milliardenbetrag für 2025 vorzusehen«, so der Haushälter.
Was die Bundeswehr in Alaska übt
In Alaska konnte sich Pistorius am Montag ein Bild machen, wie viel Geld allein der Betrieb seiner eigenen Truppe verschlingt. Von der Luftwaffenbasis Eielson, nur gut 200 Kilometer südlich des Polarkreises, trainieren in den kommenden Tagen gut 60 Kampfjets und 20 weitere Jets aus Deutschland, den USA, Frankreich und Spanien den Ernstfall. Konkret wird geübt, wie die Nato-Nationen bei einem russischen Angriff aus der Luft erst die gegnerische Flugabwehr und dann auch feindliche Stellungen ausschalten können.
Die Übung »Arctic Defender« ist für die Luftwaffe Neuland. Erstmals führt die Truppe von Inspekteur Ingo Gerhartz eine Übung auf amerikanischem Boden. Alaska bietet sich wegen seiner dünnen Besiedlung für solche Großmanöver an. Über Deutschland wären schon die Tiefflugübungen kaum möglich. In nur 30 Meter Höhe trainieren dabei deutsche Tornados und Eurofighters, wie man das feindliche Radar unterfliegen kann. Auch die Rettung von Geiseln durch das Kommando Spezialkräfte (KSK) wird in Alaska durchgespielt.